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Quo vadis Kirche?

  • office76112
  • 22. Apr.
  • 9 Min. Lesezeit


Foto: Papst Franziskus/Stefano Spaziani
Foto: Papst Franziskus/Stefano Spaziani

Als die Nachricht vom Ableben von Papst Franziskus die Welt erreichte, spürte ich eine Leere, aber auch eine tiefe Inspiration. Er war für mich nicht nur ein Papst, sondern ein Mensch, der mich persönlich berührte, der mich zum Nachdenken brachte, der mich zum Lachen brachte.

Seine Worte, sein Lächeln, seine Umarmungen – sie waren echt, sie waren menschlich. "Wer bin ich, um zu urteilen?" – Dieser Satz hallt in mir nach und fordert einen auf, seine eigenen Vorurteile zu hinterfragen und seine eigene „Begrenztheit“ zu erkennen.

Franziskus zeigte mir, dass die Kirche kein Museum ist, sondern ein lebendiger Organismus, der sich an die Welt anpassen darf. Er erinnerte mich daran, dass wir nicht perfekt sein müssen, dass Scheitern zum Menschsein dazugehört.

Seine Besuche bei den Ausgestoßenen, seine Nähe zu den Leidenden, sein Humor – sie lehrten mich, dass die Kirche wieder berühren muss, im wahrsten Sinne des Wortes.


Mein Blick in die Zukunft

Meine persönliche Vision und der Mut zur Veränderung

Als Diakon, der in seiner Amtszeit geweiht wurde, fühle ich eine tiefe Verantwortung. Ich darf das Erbe von Franziskus bewahren, aber ich muss auch meinen eigenen Weg finden um meinen ganz ureigenen, persönlichen Beitrag leisten zu können.

Ich glaube, dass die Kirche der Zukunft mutig, ehrlich und menschlich sein muss.

 

Mein persönlicher Kampf mit der patriarchalen Struktur und die Kraft der Bibel:

Auch ich bin, so wie sehr viele andere auch, in einer patriarchalen Struktur aufgewachsen. Ich habe die Ungleichheit leider allzu oft als gegeben hingenommen. Aber je mehr ich nachdenke, je mehr ich mich damit auseinandersetze, desto klarer wird mir, dass dies ein sehr großer Fehler ist. Ich habe Fehler im Denken über Gleichberechtigung und die persönliche „Bequemlichkeit“ die daraus resultiert, in mir selbst erkennen müssen.

Die Bibel und Jesus selbst als Mensch, sie rufen uns zur vollendeten Gleichheit auf. So heißt es im Buch Genesis 1,27: "Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; männlich und weiblich schuf er sie."


Dieser Vers macht für mich deutlich, dass Mann und Frau von Anfang an gleichwertig geschaffen sind und es keinen „Interpretationsspielraum“ geben kann.

Der Apostel Paulus schreibt im Galaterbrief 3,28: "Da ist nicht Jude noch Grieche, da ist nicht Knecht noch Freier, da ist nicht Mann noch Weib; denn ihr seid allzumal eine*r in Christus Jesus."


Für mich ist das eine klare Aussage, dass in Christus alle Unterschiede aufgehoben sind, auch die zwischen Mann und Frau.

Jesus selbst hat Frauen mit Würde und Respekt behandelt, was für seine Zeit revolutionär war. Er sprach mit ihnen, ließ sie seine Jünger:innen sein und nahm ihr Zeugnis ernst. Er machte keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern.


Die Entdeckung des verborgenen Gottes: Eine neue Perspektive:

Ich habe oft darüber nachgedacht, wie wir Gott sehen und wo wir ihn suchen. Ist er wirklich nur das, was wir in ihm sehen wollen? Ich glaube, dass Gott sich oft gerade dort zeigt, wo wir ihn am wenigsten erwarten. Diese Erkenntnis hat mein eigenes Gottesbild immer wieder verändert.

Denk an den Menschen der völlig selbstlos, ohne Bedingungen, einfach Hilft wenn er Not sieht.

Ich habe es erlebt, dass ein unheilbar Kranker bis zuletzt seinen Lebensmut nicht verliert und sogar im Stande ist andere, die gesund sind, in ihrem Schmerz zu trösten.

Ich selbst habe Gott oft in den Augen von Menschen gefunden, in Momenten der Stille, in der Natur, in der Musik – überall dort, wo ich ihn nicht aktiv gesucht hätte.


Die Sehnsucht, Gott zu spüren:

Ich glaube, wir haben verlernt, Gott zu "spüren". In unserem alltäglichen Leben, in unserem Streben nach Leistung und Erfolg, haben wir oft keinen Raum mehr für Stille und „Erspüren“. Dabei sehnen wir uns doch tief in unserem Herzen danach, eine tiefere Verbindung zu dem zu spüren, was uns trägt und hält.

Ein Leitsatz der mir immer mehr hilft in letzter Zeit lautet:

"Nicht Gott sein wollen, sondern Gott spüren. Nicht die Kontrolle suchen, sondern die Führung zulassen."


Warum Glaube ohne Spüren und Berühren nicht funktioniert:

Ich bin überzeugt, dass Glaube ohne Spüren und Berühren zu einer leeren Hülle verkommt, zu einem bloßen intellektuellen Konstrukt. Wenn wir Gott nicht mit unserem ganzen Sein erfahren, wenn wir seine Gegenwart nicht in unserem Herzen spüren, dann fehlt dem Glauben seine Lebendigkeit, seine Wärme, seine Kraft. Er wird zu einer Theorie, zu einem Regelwerk, zu einer Pflichtübung.


Was in der Kirche fehlt:

Ich sehe in der Kirche oft eine Tendenz, sich zu sehr auf das "Was darf man?" und "Was darf man nicht?" zu konzentrieren, auf das, was festgeschrieben ist und was nicht, welche Regeln eingehalten werden müssen und welche nicht. Dabei geht oft der Blick für das Wesentliche verloren: für die Begegnung mit dem lebendigen Gott, für die Berührung durch seine Liebe, für das Spüren seiner Gegenwart in unserem Leben. Wir verlieren uns in juristischen Debatten und dogmatischen Spitzfindigkeiten, anstatt uns von der Freude des Evangeliums anstecken zu lassen.

Die Gedanken über das Spüren führen mich oft direkt zu den Sakramenten in der Kirche. Ich werde öfter gefragt ob das alles noch zeitgemäß ist und wie es mir mit den starren „Rahmenbedingungen“ bei der Sakramentenspendung geht..

Natürlich brauchen wir einen Rahmen, einen Ordnungsrahmen, in dem wir uns bewegen. Die Sakramente sind ein Geschenk Gottes, in denen er uns auf besondere Weise begegnet. Aber es geht nicht um die Sakramente als Selbstzweck oder als etwas Besonderes, das nur bestimmte Menschen machen "dürfen". Es geht um die Kraft, die in diesen Handlungen steckt, um die Gegenwart Gottes, die in ihnen erfahrbar wird.


Gott wirkt durch uns:

Nicht wir spenden ein Sakrament, sondern Gott tut es durch uns. Das ist ein ganz entscheidender Unterschied. Wir sind nicht die Akteure, sondern die Werkzeuge, die Kanäle, durch die Gottes Gnade fließt. Und ich frage mich oft, wie wir lernen können, dies zu spüren.

Ich glaube wir können uns einfach trauen sakramental zu sein und genau dazu braucht es einen guten Rahmen, etwas das einem hilft spüren zu können. Dafür braucht es ein paar wichtige Grundlagen, die in jedem Menschen, egal ob Mann oder Frau, ob geweiht oder nicht geweiht, angelegt sind:


Loslassen:

Kontrolle abgeben, das Bedürfnis, alles selbst zu machen, selbst zu "erwirken".

Sich öffnen:

Öffnen für die Gegenwart Gottes, für sein Wirken in uns und durch uns.

Hinhören:

Auf die leise Stimme des Geistes in unserem Herzen hören, auf die Zeichen seiner Gegenwart in der Welt um uns herum.

Sich berühren lassen:

Uns von Gottes Liebe berühren lassen, von seiner Barmherzigkeit, von seiner Zärtlichkeit.

Demütig sein:

Uns unserer eigenen Begrenztheit bewusst sein und anerkennen, dass wir aus uns selbst nichts vermögen.


Papst Franziskus hat uns immer wieder gezeigt, wie das geht. Er hat Menschen umarmt, er hat ihre Hände gehalten, er hat ihnen in die Augen geschaut. Er hat sich von ihren Geschichten berühren lassen, von ihrem Leid, von ihrer Freude. Er hat uns gelehrt, dass Gott nicht in erster Linie in Büchern und Dogmen zu finden ist, sondern in den Menschen, in der Begegnung, im Leben selbst.

Eine Welt des Spürens, nicht des Seins, das ist die Welt der Sakramente.

 

Was bedeutet "spüren"?

Für mich bedeutet "spüren" ein tiefes, ganzheitliches Erfahren von Gottes Gegenwart, das über den Verstand hinausgeht. Es ist ein Eintauchen in eine Wirklichkeit, in der wir uns geborgen, geliebt und geführt fühlen. Es ist ein Erfahren mit allen Sinnen und mit dem Herzen.

Um Gott zu spüren zu können, brauchen wir ein paar Werkzeuge, die wir alle schon zur Verfügung haben aber viel zu selten einsetzen und umsetzen:


Stille:

Momente der Stille, in denen wir den Lärm der Welt ausblenden und nach innen hören.

Achtsamkeit:

Die Fähigkeit, den gegenwärtigen Augenblick bewusst wahrzunehmen, ohne ihn zu bewerten.

Offenheit:

Die Bereitschaft, sich auf neue Erfahrungen einzulassen und sich von Gott überraschen zu lassen.

Demut:

Das Eingeständnis der eigenen Begrenztheit und die Bereitschaft, sich führen zu lassen.

Empfänglichkeit:

Das Zulassen von Gefühlen und Emotionen, die uns mit unserer tiefsten Sehnsucht in Berührung bringen.


Ich glaube, wir können Gott in vielfältigen Erfahrungen spüren:

Musik:

Wenn uns eine Melodie tief im Herzen berührt und uns mit einer Ahnung von Ewigkeit erfüllt.

Theater:

Wenn wir in eine Geschichte eintauchen und uns mit den Figuren verbunden fühlen, sodass wir etwas von der Menschlichkeit Gottes erahnen.

Lesen:

Wenn uns ein Wort, ein Satz, eine Geschichte so ergreift, dass wir uns darin wiederfinden und eine tiefere Wahrheit über uns selbst entdecken.

Lachen:

Wenn wir von Herzen lachen und in diesem Moment der Freude etwas von der unbeschwerten Freude Gottes aufscheint.

Gemeinschaft:

Wenn wir uns mit anderen Menschen verbunden fühlen, in ihrer Nähe Geborgenheit und Liebe erfahren und so etwas von der Gemeinschaft der Dreifaltigkeit erahnen.

Hören:

Wenn wir auf die Stimme eines anderen Menschen lauschen und in seinen Worten etwas von Gottes Weisheit und Liebe vernehmen.

Berührung:

Wenn wir von einem anderen Menschen berührt werden und in dieser Berührung etwas von Gottes heilender und tröstender Nähe spüren.

Natur:

Wenn wir die Schönheit und Erhabenheit der Natur betrachten und in ihr Gottes Schöpferkraft und Herrlichkeit erahnen.


Ich stelle mir eine Welt vor, in der wir diese Erfahrungen nicht als Zufall abtun, sondern bewusst suchen und wertschätzen. Eine Welt, in der wir uns Zeit nehmen, um innezuhalten, zu lauschen, zu betrachten, zu fühlen. Eine Welt, in der wir uns unserer Sinne bewusst sind und sie als Tore zu einer tieferen Wirklichkeit verstehen. Eine Welt, in der wir uns von der Schönheit, der Wahrheit und der Liebe berühren lassen, die uns in all diesen Erfahrungen begegnen.


Die Herausforderung des Spürens im Alltag:

Ich weiß, dass es nicht einfach ist, ein "spürender" Mensch im Alltag zu sein. Der Druck ist groß, die Ablenkungen sind zahlreich, die Zweifel sind nagend. Aber ich glaube, es ist möglich. Es bedeutet, immer wieder innezuhalten, sich bewusst Zeit für Gott zu nehmen, auch wenn es nur für ein paar Minuten sind. Es bedeutet, die Augen offen zu halten für die kleinen Wunder am Rande des Weges, für die Zeichen der Liebe, die uns umgeben. Es bedeutet, sich seiner eigenen Begrenztheit bewusst zu sein und sich immer wieder neu auf den Weg zu machen. Und es bedeutet Mut. Den Mut, sich verletzlich zu machen, sich seinen Gefühlen zu stellen, sich von Gott berühren zu lassen.


Integration des Spürens in den Lebensplan:

Ich glaube nicht, dass wir unseren gesamten Lebensplan über den Haufen werfen müssen, um Gott zu spüren. Es geht vielmehr darum, eine neue Dimension in unser Leben zu integrieren, eine Dimension der Tiefe, der Stille, der Achtsamkeit. Das kann bedeuten, den Tag mit einem Gebet zu beginnen, eine Zeit der Stille in den Arbeitsalltag einzubauen, ein offenes Ohr für die Nöte anderer zu haben, die Natur bewusst wahrzunehmen, ein Dankbarkeitstagebuch zu führen, ein spirituelles Buch zu lesen, ein inspirierendes Gespräch zu führen, einen Gottesdienst zu besuchen, ein Sakrament zu empfangen.


Die Notwendigkeit der Gleichberechtigung für eine Kirche des Spürens:

Für mich ist es untrennbar mit der Suche nach Gott verbunden, die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Kirche zu verwirklichen. Wie können wir behaupten, Gott in der Demut und im Dienen zu suchen, wenn wir gleichzeitig die Hälfte der Menschheit von der Teilhabe an seiner Kirche ausschließen?

Die patriarchale Struktur, die sich in unserer Kirche entwickelt hat, steht in direktem Widerspruch zu dem Geist Jesu. Er hat Frauen nicht nur geachtet, sondern sie aktiv in seinen Dienst einbezogen.

Wenn wir Gott wirklich "spüren" wollen, müssen wir die Vielfalt der Stimmen und Charismen in unserer Kirche zulassen. Das bedeutet für mich auch, Frauen den Zugang zu allen Ämtern zu ermöglichen.

Ich träume von einer Kirche, in der Männer und Frauen gemeinsam nach Gott suchen, gemeinsam Verantwortung tragen, gemeinsam entscheiden. Das ist für mich keine Frage des Zeitgeists, sondern eine Frage der Gerechtigkeit und der theologischen Konsequenz.


Meine Sehnsucht nach einer Kirche, die berührt:

Ich sehne mich nach einer Kirche, in der wir uns wieder berühren dürfen, in der wir uns umarmen dürfen, in der wir miteinander lachen dürfen. Eine Kirche, in der wir unsere Gefühle zeigen dürfen, unsere Zweifel, unsere Ängste. Eine Kirche, in der wir menschlich sind. Das heißt nicht, dass wir oberflächlich sein sollen. Im Gegenteil, wir müssen tief gehen, wir müssen uns unseren innersten Fragen stellen. Aber wir dürfen dabei nicht den Humor verlieren, die Freude am Leben, die Freude am Glauben.

Ich glaube, dass wir Amtsträger:innen nicht über den anderen stehen dürfen. Wir sind Menschen wie alle anderen. Wir machen Fehler, wir haben Schwächen, wir haben Sehnsüchte. Wir müssen uns hinterfragen, wir müssen uns korrigieren, wir müssen uns entschuldigen, wenn wir falsch liegen. Wir brauchen keine gehemmten Amtsträger*innen, sondern Menschen mit Charisma, Menschen, die authentisch sind, Menschen, die den Mut haben, anders zu sein.

Ich träume von einer Kirche, in der wir alle zusammenarbeiten, in der wir uns gegenseitig zuhören, in der wir voneinander lernen. Eine Kirche, in der Frauen und Männer gleichberechtigt sind, in der alle Charismen und Talente zum Wohl der Gemeinschaft eingesetzt werden. Eine Kirche, die mutig ist, die Risiken eingeht, die sich nicht vor Veränderungen scheut.

Ich hoffe, dass wir den Mut finden, eine Kirche zu bauen, die demütig, barmherzig, humorvoll und zutiefst menschlich ist. Eine Kirche, die berührt, die bewegt, die Hoffnung schenkt. Eine Kirche, in der wir alle zu Hause sind.

 

Wie Jesus sagt: "Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben." (Joh 13,34). Das ist für mich ein Auftrag, der uns alle betrifft, ohne Ausnahme.



 
 
 

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